2021-02-05 |

Patrick Merkel von Prologue: „Technologie ist bereit für wegweisende Veränderung“.

Fehlende Container, erhebliche Preissteigerungen der Frachtraten, unterbrochene Lieferketten: Vor allem bedingt durch die Corona-Pandemie sind in der Transportlogistik massive Beeinträchtigungen zu spüren.  Als Geschäftsführer des 4th Party Logistics Dienstleisters Prologue erlebt Patrick Merkel die Auswirkungen der Corona-Pandemie im Logistiksektor hautnah mit. In einem Interview hat er uns erzählt, in welchen Bereichen er die massivsten Auswirkungen sieht, wie die Prologue auf die aktuellen Herausforderungen reagiert und welche Herausforderungen die Digitalisierung mit sich bringt.

Als 4th Party Logistics Provider (PL) bietet die Prologue Solutions GmbH zusammen mit dem Schwesterunternehmen EURASIA und einem umfassenden Netzwerk an Logistik- und Konsolidierungsdienstleistern vielfältige Lösungen zur Optimierung der Supply Chain an.

Hallo Patrick. Gib uns doch zum Einstieg einen Einblick in Deinen beruflichen Alltag. Was hast Du in dieser Woche auf dem Schreibtisch, was Dich besonders umtreibt oder bewegt?

Mein Hauptfokus liegt zurzeit vor allem auf der Prologue Solutions GmbH in Hamburg. Dafür bin ich in 2019, nach fast 12 Jahren in Hong Kong, zusammen mit meiner Familie, nach Deutschland umgezogen. Was uns bei der Prologue seit 2016 am meisten beschäftigt, sind alle Themen rund um die Digitalisierung. Bereits in 2018 haben wir einige konkrete Projekte gestartet, die nun seit Sommer 2020 nach und nach in die praktische Umsetzung gehen. Dabei geht es ebenso um unsere internen Abläufe, wie auch um die Zusammenarbeit mit Kunden, Geschäftspartnern und Dienstleistern weltweit. Bereits jetzt können wir unseren Partnern einen hohen Grad an Digitalisierung und Automatisierung von Abläufen bieten.

Wir erleben in der weltweiten Transportlogistik aktuell massive Verwerfungen, vor allem natürlich bedingt durch die globale Corona-Pandemie. In welchem Bereich siehst Du derzeit die massivsten Auswirkungen?

Die Auswirkungen der Pandemie beschäftigen zur Zeit Menschen und Unternehmen gleichermaßen. Es gibt praktisch keinen Bereich, in dem es nicht zu Einschränkungen oder unübersehbaren Auswirkungen kommt. In Industrie, Handel und Logistik haben sich die ersten Schwachstellen offenbart, als China in den Lockdown gegangen ist und die Produktion des ganzen Landes praktisch stillstand. China ist nach wie vor die Werkbank der Welt und plötzlich rissen die Lieferketten ab. Auch andere Länder in Asien waren betroffen. Später passierte dann das genaue Gegenteil als das Virus in Europa und Amerika angekommen war. Befeuert durch den immensen Bedarf an Produkten zum Schutz vor dem Virus stieg die Nachfrage auf ungeahnte Niveaus und überlasteten die verfügbaren Kapazitäten von Produktion und Transport. Massive Preissteigerungen und stark verzögerte Liefer- und Transportzeiten sind bis heute die Konsequenz und belasten die Wirtschaft auch hier in Deutschland stark.

Wie reagiert ihr bei Prologue auf die aktuellen Herausforderungen?

Da die Prologue als 4th Party Logistics Dienstleister (4PL) eine übergreifende Rolle in den Lieferketten unserer Kunden spielt, gehört auch das Krisenmanagement zu unseren Aufgaben. Eine der zentralen Säulen unseres Geschäftsmodells ist die Zusammenarbeit mit den Verkehrsträgern, also z.B. den Reedereien. Die Prologue arbeitet mit langfristigen Kontrakten in denen das Volumen aller Kunden gepoolt wird. Dadurch sind wir gemeinsam mit unseren Kunden in einer ähnlichen Lage wie Industrie- oder Handelsunternehmen mit eigenen großen Frachtvolumina. Die Preissteigerungen am Spotmarkt sind also nicht unser eigentliches Problem. Die größte Schwierigkeit ist die aus dem Gleichgewicht geratene Verteilung der Container bei den Reedereien. Leercontainer kommen nicht rechtzeitig bei den Lieferanten unserer Kunden an, wodurch es teils zu erheblichen Verzögerungen kommt. Gleichzeitig stauen sich in den USA die Containerschiffe in den Häfen, die aufgrund des hohen Aufkommens nicht mit dem Entladen und Weitertransport hinterherkommen. Daran, diese Auswirkungen auf unsere Kunden so gering wie möglich zu halten, arbeitet unser Team in Hong Kong und Hamburg aktuell Tag und Nacht, gemeinsam mit den regionalen Büros unserer Geschäftspartner und Reeder vor Ort. Eine zentrale Bedeutung nimmt dabei unsere Buchungsplattform ein, die wir seit 2018 Schritt für Schritt auf alle Häfen und Reeder weltweit ausrollen und gemeinsam mit dem französischen Anbieter ständig weiterentwickeln. Ohne den ständigen Überblick über die tägliche Buchungssituation wären wir schon längst im Chaos versunken.

In welcher Form verändert die Corona-Pandemie das Supply Chain Management einzelner Unternehmen?

Während für die großen Unternehmen eher die Lieferzeitkomponente und die fehlende Planbarkeit das größte Problem darstellen, trifft die Preissteigerung vor allem den Mittelstand der Exporteure und Importeure gleichermaßen hart. Preissteigerungen bei den Frachtraten von bis zu 1000% am Spotmarkt bedeuten, dass die Produkte sich durch die Transportkosten um ein Vielfaches verteuern oder gar nicht mehr sinnvoll zu transportieren sind. Ich kenne viele Unternehmen, die Aufträge stornieren mussten, da es aufgrund der Transportkosten zu hohen wirtschaftlichen Verlusten gekommen wäre. Glücklicherweise halten sich die großen Akteure aktuell mit Vertragsstrafen zurück. Es wird sich erst noch zeigen, welche Lehren die einzelnen Unternehmen aus der Krisenzeit ziehen und wer tatsächlich die Krise übersteht, oder sogar gestärkt aus ihr hervorgeht.

In turbulenten Zeiten wie diesen wird vielfach davon gesprochen, wie wichtig “resiliente” Lieferketten sind. Was ist mit dem Begriff Resilienz gemeint und wie kann ich meine Supply Chains resilienter machen?

Resilient ist eine Lieferkette dann, wenn sie krisensicher ist. Krisensicher bedeutet, dass eine Lieferkette auch dann zuverlässig funktioniert, wenn sie erheblichen Einflüssen von außen ausgesetzt ist. Resiliente Lieferketten kann es also gar nicht geben. Jedes Unternehmen kann jedoch dafür sorgen, dass die Lieferkette aus möglichst dynamischen Komponenten besteht und diese bestmöglich steuerbar sind, um äußeren Einflüssen wirksam begegnen zu können. Entscheidend ist also die Auswahl der Lieferanten und der dienstleistenden Partner. Funktionieren kann das jedoch in Krisenzeiten nur, wenn es volle Transparenz gibt und die Kommunikation funktioniert. Also letztlich Informationsfluss und -verarbeitung sichergestellt sind. Nur dann bleiben die Abläufe steuerbar. Dass das mit Exceltabellen und E-Mails oder gar Messenger Systemen nicht funktioniert, dürfte in den letzten Monaten auch noch der letzte Verfechter gemerkt haben. Moderne Supply Chain Management Systeme oder noch besser entsprechende Plattformen sind dafür nicht nur bestens geeignet, sondern meiner Meinung nach in Zukunft auch alternativlos für ein erfolgreiches Lieferkettenmanagement.

Die gesamte Logistikwelt erfährt gerade einen gewaltigen Digitalisierungsschub. Was sind aus Deiner Sicht dabei die größten Herausforderungen und die wichtigsten Trends?

Die Branche hat viel Nachholbedarf bei der Digitalisierung. Die Aufholjagd bei der Digitalisierung der Branche hat bereits vor 2-3 Jahren begonnen, auch angetrieben durch die disruptiven Geschäftsmodelle von zahlreichen Startups. Letztlich entscheidend ist jedoch was die Endkunden, also die Kunden der Importeure und Exporteure, wirklich wollen und wofür sie bereit sind zu bezahlen. Dass Technologie allein noch nicht in der Lage ist, die Geschäftsmodelle weitreichend zu beeinflussen, hat die fehlgeschlagene RFID Revolution vor einigen Jahren eindrucksvoll bewiesen. Ähnlich wird es meiner Meinung nach auch der Blockchain ergehen. Fakt ist, schlechte Geschäftsabläufe zu digitalisieren oder gar zu automatisieren, ergibt am Ende schlechte digitale oder schlechte automatisierte Geschäftsabläufe. Die Technologie ist bereit für bahnbrechende Veränderungen, aber sind es die Geschäftsmodelle der entscheidenden Akteure auch?

In wenigen Tagen steht wieder das Chinese New Year an. Warum ist das so ein bedeutsames Datum für die Logistikwelt?

Für die Chinesen ist das Neujahrsfest (der erste Neumond zwischen dem 21. Januar und 21 Februar) der wichtigste Termin des Jahres. Das chinesische Neujahr, oder kurz CNY, wird traditionell mit der gesamten Familie gefeiert. Offiziell gibt es 6 staatliche Feiertage, in der Regel sind jedoch Büros und Fabriken für mehrere Wochen geschlossen. In dieser Zeit reisen allein bis zu 400 Millionen Menschen aus den Metropolen zurück in ihre Heimatprovinzen, die dort als sogenannte Wanderarbeiter tätig sind. Im Jahr 2019 registrierte die chinesische Regierung über 2,9 Milliarden Reisebewegungen während dieses Zeitraums. Es ist also entscheidend, Aufträge bei chinesischen Produzenten rechtzeitig zu platzieren, damit die Lieferungen noch vor dem Beginn der CNY Ferien verschifft werden können. Das ist vor allem für den Einzelhandel wichtig, der zu dieser Zeit seine Ware für die Frühjahrssaison verschiffen muss. Das führt Jahr für Jahr, in der Zeit zwischen Weihnachten und dem chinesischen Neujahr, zu einem massiv erhöhten Frachtaufkommen.

Vielen Dank für das Interview!

Quelle: limbiq.com 2020/02, Interview mit Patrick Merkel.

 

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