2021-05-05 |

Fahrplan-Fiasko: Auswirkungen der Ever Given-Panne

Die Panne des Containerschiffs Ever Given im Suezkanal, und die dadurch ausgelöste einwöchige Blockade der wichtigsten Schifffahrtsstraße der Welt, hat die ohnehin schon angespannte Situation im internationalen Seefrachtverkehr nochmals verschärft. In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf die weltweiten Folgen und die zu erwartenden Auswirkungen für den Handel in Deutschland.

Der Funke im Preis-Pulverfass

Der Mangel an Leercontainern in Verbindung mit der ohnehin üblichen „Peak-Season“ im Dezember und Januar hat den Seefrachtmarkt massiv überhitzen lassen, die Folgen waren bis in den März hinein deutlich zu spüren.

Das Preisniveau hatte im Januar einen historischen Höchststand erreicht, bis zu 10.000 USD und teilweise darüber kostete es, einen 40 Fuß Container per Schiff von Asien nach Europa transportieren zu lassen. Auch die langfristigen Verträge ausnahmslos aller Frachtführer und Verlader waren von massiven Preiserhöhungen und Sonderzuschlägen betroffen.

Nach dem Freightos Baltic Index lagen die Spotmarkt Frachtpreise im März 430% über dem Vorjahresniveau. Nach dem Drewry WCI Index sogar 458% über dem Vorjahresniveau im April.

Zu diesem massiven Preisanstieg kommen jetzt auch noch erhebliche Verspätungen, überlastete Häfen und durcheinandergeratene Fahrpläne hinzu, die das Leben der Importeure und Exporteure zusätzlich erschweren. Sah es im März so aus, als ob die Maßnahmen der Reeder greifen und die Frachtpreise langsam wieder sinken würden, so gingen die Preise in der ersten Aprilwoche wieder nach oben. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Bis Sommer keine Besserung in Sicht

Die Situation ist kurz umrissen „chaotisch“. Importeure und Exporteure müssen sich auf regelmäßige erhebliche Verspätungen und Preiserhöhungen einstellen. War die Verlässlichkeit der Fahrpläne bereits zuvor beklagenswert, so ist sie nun katastrophal, und das wird sich auch mindestens bis zum Sommer nicht ändern.

Für ihre Aktionsgeschäfte können wir dem Handel nur dringend raten, sich entweder frühzeitig um die Verschiffung der geplanten Ware zu bemühen und großzügige Puffer einzurechnen oder von vorneherein mit dem Zug oder dem Flugzeug zu planen. Allerdings muss auch im Schienen- und Luftverkehr durch die erhöhte Nachfrage und die pandemiebedingten Einschränkungen, mit gestiegenen Preisen und längeren Transitzeiten geplant werden.

Preisanstiege und Lieferengpässe für Sommerware und Elektronikartikel

Die Sommerware im Allgemeinen läuft Gefahr, verspätet in die Lager und damit in die Regale zu kommen. Auch kurzfristige Preissteigerungen sind, neben den allgemeinen Lieferverzögerungen, zu erwarten. Es macht in diesem Zusammenhang einen riesigen Unterschied, ob in einem Container 10 Sofas oder 20.000 Vasen transportiert werden. Während die Vasen sich (im Vergleich zum letzten Jahr) schlimmstenfalls um etwa 40 Cent pro Stück verteuern, steigt der Einstandspreis für ein Sofa dagegen um etwa
640 EUR pro Stück.

Nachfragebedingte Preisanstiege sind im Elektronikbereich bereits seit einigen Wochen zu beobachten. Neben den logistischen Problemen kommt hier noch das Problem der Lieferschwierigkeiten bei Komponenten wie Chips und Platinen hinzu. Aus diesem Grund sind ganze Produktkategorien aktuell nicht lieferbar, die Ursachen sind identisch. Hinzu kommt der Handelskonflikt zwischen China und den USA, der es vielen Zulieferern verbietet, chinesische Fertiger mit Komponenten zu beliefern. Insbesondere der ohnehin schon angeschlagene Textilbereich wird mit den gestiegenen Logistikkosten noch weiter belastet.

 

Ein System aus dem Takt

Das aktuell größte Problem ist die Masse an einkommenden Containern und die völlig aus dem Takt geratenen Fahrpläne der Reedereien, ausgelöst durch die einwöchige Blockade des Suezkanal durch das Containerschiff Ever Given Ende März. Der Stau betraf ca. 1,9 Millionen TEU (Twenty Foot Equivalent Unit – entspricht einem 20 Fuß Container, ein 40 Fuß Container entspricht 2 TEU), die nun nahezu gleichzeitig alle großen Häfen der Welt „überfluten“.

Derzeit kommt es in allen Häfen zu erheblichen Verzögerungen bei der Abfertigung, ebenso betroffen sind die Nachlaufverkehre. Alle einkommenden Schiffe haben bereits deutliche Verspätungen, in vielen Fällen werden die Container gar nicht am vereinbarten Entladehafen, sondern am nächstgelegenen Hafen gelöscht. Viele Exportcontainer bleiben einfach stehen und werden teilweise sogar in Transithäfen entlang der Routen entladen, damit die Schiffe wieder umkehren können, um die Fahrpläne und Leercontainerdisposition nicht noch weiter eskalieren zu lassen. Das Ziel dabei ist es, so schnell wie möglich, vollbeladen mit leeren Containern, wieder in Asien zu sein. Insbesondere in Nordamerika gibt es schon seit Monaten erhebliche Verzögerungen bei der Abfertigung der Containerschiffe in den Häfen und dem Weitertransport ins Inland.

Corona: Sand im Getriebe der Weltwirtschaft

Als Ursprung des Problems ist der flächendeckende Lockdown in China zu Beginn 2020 zu sehen, von dem sowohl sämtliche Produktionsstätten, als auch alle Häfen betroffen waren. Zu diesem Zeitpunkt türmten sich die leeren Container in den chinesischen Depots. Ankommende Schiffe wurden zwar entladen, aber nicht mehr mit vollen Containern beladen, da die exportierenden Unternehmen geschlossen waren.

Als das Virus dann im März 2020 auch Europa und Nordamerika erreichte, explodierte die Nachfrage nach medizinischen Ausrüstungsgegenständen und Schutzbekleidung in aller Welt. China öffnete daraufhin trotz steigender Infektionszahlen die Produktionsbetriebe, um die eigene Wirtschaft zu stützen und die weltweite Nachfrage zu bedienen. Damit kehrte sich die Situation plötzlich um. Während vollbeladene Containerschiffe Europa und die USA mit den dringend benötigten Waren versorgten, kam der Export aus diesen Ländern aus denselben Gründen wie zuvor in China nahezu zum Erliegen.

Seither ist der Teil der Weltwirtschaft, den die Handelsschifffahrt repräsentiert aus dem Takt geraten: Nach Tonnen gemessen sind das ca. 90% des Welthandels, ca. 16% davon in Containern.

Asia-Boom als Auslöser

Der größte Treiber der Problematik im vergangen Jahr war der „Importboom“ von asiatischen Produkten in die USA, ausgelöst nicht nur durch den Bedarf an pandemierelevanten Produkten, sondern vor allem auch durch die Verlagerung der Konsumausgaben der amerikanischen Bevölkerung. Die PIERS Daten zeigen, dass die Containertransporte von Asien in die USA verglichen von März 2020 mit März 2021 um 90% gestiegen sind. Verglichen mit den Zahlen vor der Pandemie (März 2019 zu 2021) entspricht das einer gigantischen Steigerung von 57%, und das trotz der chinafeindlichen Politik von Ex-Präsident Trump, der 2018 mit Strafzöllen auf chinesische Importe versuchte, das Handelsbilanzdefizit mit China zu reduzieren. In Europa gab es ähnliche Effekte, jedoch nicht annähernd so ausgeprägt wie in den USA, da insbesondere der Handel in Europa nach wie vor mit Einschränkungen und Öffnungsverboten zu kämpfen hat, während die USA schon seit dem 4. Quartal 2020 größtenteils wieder geöffnet haben.

Alle zahlen mehr – Direktkunden weniger als andere

Ausnahmslos alle Marktteilnehmer sind von der Situation und den steigenden Frachtkosten betroffen. Während sich die Preise für langfristige Kontrakte der Reederei Direktkunden (BCOs – Beneficial Cargo Owner) ungefähr verdoppelt haben, liegen die Spotmarkt Preise auf dem 3- bis 4-fachen Niveau im Vergleich zum Vorjahr. Auch kurzfristige Speditionskontrakte sind für die Kunden teilweise 2,5 bis 3-mal teurer als noch im Vorjahr. Langfristige Vereinbarungen zahlen sich wieder deutlicher aus als noch während der häufigen Preisrallyes der letzten Jahre. Auch Kunden von 4PL Dienstleistern, wie der Prologue Solutions, profitieren deutlich gegenüber dem Speditionsmarkt. Die Reeder sind mittelfristig vor allem auf verlässliche und planbare Ladung aus.

Quelle: 2021/05, Prologue Solutions GmbH.

Zur Aktuelles Seite