2020-05-18 |

Online und On-Demand: Stabilisierende Wirkung für den Handel in China.

Vergangene Woche berichtete der ehemalige Karstadt-CEO Helmut Merkel in einem Gastbeitrag für uns von einer Reihe von Rahmenbedingungen, die die Situation in China während der Corona-Krise stabilisierten. Diese Woche analysiert er für uns an Hand fundierter Zahlen die volkswirtschaftlichen Dimensionen der Corona-Krise und was diese in Zahlen für den Einzelhandel bedeutet.

Das Welt-Bruttosozialprodukt (GDP) lag im Jahre 2018 bei 84,84 Billionen (Bn) USD. Der Beitrag der Europäischen Staaten lag bei 22.62 Bn (einschließlich UK). Der Beitrag der USA lag bei 20,9 Bn und der Beitrag Chinas lag bei 14,2 Bn. Das höchste Kaufkraftpotential (PPP Purchasing Power Parity) hat statistisch gesehen China mit 27,4 Bn USD. Die USA haben ein GDP PPP von 21,4 Bn und Deutschland liegt beim PPP als einzelne Volkswirtschaft vergleichsweise immerhin bei 4,5 Bn, zeigt die Datenbank der Weltbank. Europäische Staaten rechnen durch die Corona-Krise mit hohen einstelligen Einbrüchen beim GDP – China schätzt einen Einbruch von nur 2%.

Das Bruttosozialprodukt ergibt sich vereinfacht als eine Aggregation von Investitionen (Private Investitionen und Ausgaben öffentlicher Haushalte), Konsum und Exportüberschuss (oder Defizit).

  • In den USA liegt der Konsum bei knapp 70%, die Investitionen (Privat und Öffentlich) liegen bei ca. 35% und der Exportüberschuss bei -5%, siehe ein Bericht von The Balance.
  • In China liegt der Konsum bei ca. 39%, die Investitionen (mit hohem Staatsanteil) bei ca. 59% und der Exportüberschuss bei ca. +2%, so Index Mundi. Der Staat hat über seine Infrastrukturinvestitionen einen großen Anteil am Wachstum. Der Konsum hat daher noch ein sehr großes Potential.
  • Für die Länder der EU ist kein Gesamtüberblick verfügbar. Für die Bundesrepublik Deutschland lag der Konsum 2018 aber bei ca. 54%, die Investitionen bei ca. 39% und der Exportüberschuss bei ca. +7%.

Einzelhandel in China

Um die Betroffenheit der chinesischen Wirtschaft durch Corona besser analysieren zu können, ist ein kurzer Blick auf die Einzelhandelsvolumina nach Provinzen hilfreich:

Wuhan, das durch den Lockdown komplett betroffen war, liegt bekanntlich in der Provinz Hubei (insgesamt ca. 58 Millionen (Mn.) Einwohner). In den Top 10 der Provinzen nach den Einzelhandelsumsätzen liegt Hubei im Jahre 2017 auf Platz 7. In den zwei Jahren 2018 und 2019 ist der Handel dort um ca. 8% gewachsen. Das Einzelhandelsvolumen liegt in dieser Provinz im Jahre 2019 demnach bei ca. 230 Mrd. Euro – ca. 30 % des Einzelhandelsvolumens in Deutschland (einschließlich Tankstellen und Apotheken). Das Gesamteinzelhandelsvolumen in China liegt in der Größenordnung 5.5 Bn. Euro – ist also höher als das deutsche Bruttosozialprodukt.

Dass der gesamte Umsatzeinbruch im Zeitraum Januar/Februar in Gesamt-China „nur“ bei ca. 20% lag, erklärt sich aus der Tatsache, dass der strenge Lockdown einerseits nur für die Provinz Hubei galt. Es gab keinen generellen Lockdown der Einzelhandelsgeschäfte und Restaurants in den anderen Provinzen, wohl aber ein generelles Reiseverbot, Maskenpflicht und Abstandsregeln. Viele Geschäfte hatten außerdem freiwillig geschlossen.  Andererseits gab es eine Reihe von Rahmenbedingungen, die die Situation stabilisierten. Natürlich sind die 20% ein Durchschnittswert. Lebensmittel und Gesundheitsprodukte legten zu, während im Vergleich zum Januar/Februar 2018 der Umsatz bei „Fashion“ um 34,2% (Statista) einbrach. Wie bereits in der letzten Woche berichtet, gehen die Experten von -2% beim Bruttosozialprodukt auf das Gesamtjahr aus, was wahrscheinlich immer noch Wachstum bedeutet. Nach der offiziellen Statistik liegt der Einzelhandelsumsatz im April nur noch 7,5% unter dem Vorjahreswert (April). Die Industrieproduktion wuchs um 3,9% im Vergleich zum Vorjahr – im März sank die Industrieproduktion noch um 1,1% im Vergleich zum Vorjahr.

Die traditionellen Einzelhandelsformate wie Warenhäuser, Einkaufszentren (Malls), Outlet-Zentren, Convenience Stores (einschließlich) Discountern, Hypermärkte, Supermärkte, Gesundheitsshops haben im Januar/Februar mit Lebensmitteln und Gesundheitsprodukten ein zweistelliges Wachstum erfahren, während alle anderen Warenkategorien signifikant verloren haben (siehe Fashion).

Für Mai wird in China bereits wieder mit einem Umsatzwachstum von mehr als 4% gerechnet. Traditionell zählt die Woche nach dem 1. Mai zu den umsatzstärksten Verkaufswochen des ganzen Jahres. Das Restaurantgeschäft, das durch die Abstandsregeln hohe Einbußen hinnehmen muss, hat davon ebenfalls profitiert.

Der Umsatz legte in den Monaten Januar/Februar und März 2020 im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 20% in allen Kategorien zu, insbesondere auch bei Lebensmitteln. Der Anteil des Onlinehandels lag im Jahre 2019 bereits bei 20,7% des gesamten Einzelhandelsvolumens.  JD.com legte nach eigenen Angaben im Januar/Februar 2020 um 215% alleine bei frischen Lebensmitteln zu. Der Onlinehandel hatte eine stabilisierende Kraft während der Pandemie. Am 26. Februar 2020 hat das “General Office of the Ministry of Commerce (MOFCOM)” die “Notice of the Typical Measures Ensuring the Supply of Daily Necessities for COVID-19 Prevention” veröffentlicht. Darin wurden alle Händler ermutigt, die Versorgung kontaktlos “on-demand” zu organisieren. Die Einrichtung von Anlieferungsstationen im Wohnbezirk war eine Angelegenheit von Stunden. Die stationären Einzelhandelsformate haben deshalb ihre Online-Marketing-Anstrengungen noch intensiviert. Für alle wurde „Livestreaming“ zur Hoffnung des Moments (Alibaba Live, JD Live).

Alibaba mit Tao Xiapu und JD.com expandierten noch einmal enorm mit ihren on-demand-Plattformen während der Krise. Die Mini-Apps innerhalb von Wechat wurden noch populärer. Wanda Placa’s Wechat Miniprogramm nutzen ab 19.2.2020 ca. 60.000 kleine Handelsunternehmen in allen Regionen für Ihre Bestell- und Lieferservices. Es gibt und gab in Deutschland keine vergleichbaren Initiativen. Alibaba und JD.com starteten bereits 2017 mit den sogenannten Mom and Pap‘s Stores eine Online-Retail-Plattform, die sie in die Lage versetzt, Online-Bestellungen anzunehmen und diese lokal in der Nachbarschaft mit Hilfe der Zusteller auszuliefern. Außerdem hat der Einzelhändler Zugang zu den Online-Marketinginstrumenten. Damit kann theoretisch jeder Händler auch in der Nachbarschaft mindestens zwei Kanäle bedienen.

Hong Kong leidet besonders

Unter den Provinzen hat die Autonome Provinz Hong Kong (SAR) am meisten an Einzelhandelsumsatz verloren. Der Einzelhandelsumsatz im Oktober 2019 war aufgrund der politischen Unruhen in der Region bereits mit -24% Umsatzverlust stark beeinträchtigt, was auf das Ausbleiben der Touristen und die Kaufzurückhaltung der lokalen Bevölkerung zurückzuführen ist, die Hong Kong Island und Kowloon wegen der Demonstrationen und den zeitweiligen Ausschreitungen an den Wochenenden mieden. Wegen des Ausbruchs der Pandemie hat die Regierung Abstandsregeln, strenge Quarantäne für Verdachtsfälle und Pendler von und nach Mainland sowie ein Verbot für das Treffen in Gruppen mit mehr als vier Personen usw. entschieden. Seit Februar dürfen außerdem nur Hong Kong Citizens in die Autonome Provinz einreisen. In der Folge ist der Einzelhandelsumsatz um 44% eingebrochen. Die Onlinehandelsinfrastruktur ist in Hong Kong wegen der kurzen geographischen Distanzen nicht so weit entwickelt wie in Mainland China.

Es scheint, dass China die Pandemie wirtschaftlich bislang besser überwunden hat, als westliche Länder. Eine stabilisierende Wirkung hat dabei die hohe Durchdringung des Internets in allen Lebensbereichen (Handel, Schulen, Unterhaltung, Coronaüberwachung). Dass die Krise noch nicht komplett überwunden ist, zeigen die Maßnahmen in der Provinz Jilin, in der es immer noch Restriktionen gibt und auch die Regierungsanordnung am 12.5., dass sich die Bürger in Wuhan alle testen lassen müssen.

Quelle: Location Insider 2020/05, von Helmut Merkel.

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